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11. September 2023

"Frieden ist für Putin überhaupt kein Ziel"

Rüdiger von Fritsch Mitgliederversammlung
War bis 2019 Botschafter der Bundesrepublik in Moskau: Freiherr Rüdiger von Fritsch. Foto: Hielscher

Seine beiden Bücher "Zeitenwende" und "Welt im Umbruch" sind Bestseller, er selbst gern gesehener Gast in den Medien, wenn es um Russlands Krieg in der Ukraine geht: Freiherr Rüdiger von Fritsch, Diplomat im Ruhestand. Fünf Jahre, von März 2014 bis Juni 2019, war er Botschafter Deutschlands in Moskau und hat in dieser Zeit den Machtapparat von Russlands Präsident Wladimir Putin so gut kennengelernt wie wenige Deutsche. Bei der Mitgliederversammlung zum Jubiläum "65 Jahre ADK" in Erfurt hat Freiherr von Fritsch über das Russland gesprochen., mit dem wir es aktuell zu tun haben – und über das, mit dem wir es in Zukunft zu tun bekommen können. Wir haben mit ihm ein Interview zum Thema geführt: 

 

Herr von Fritsch, während in der Ukraine offen gekämpft wird, tobte in den vergangenen Monaten in Russland ein Machtkampf hinter den Kulissen. Nun scheint Präsident Wladimir Putin in diesem einen entscheidenden Vorteil errungen zu haben. Bei einem Flugzeugabsturz sollen Jewgeni Prigoschin, Anführer der Söldner-Gruppe Wagner, sowie sein Stellvertreter getötet worden sein. Was bedeutet dies nun für Putins Machtapparat?

 Sein Krieg macht es für Wladimir Putin offensichtlich schwerer, die komplexe Balance der ganz auf seine Person zugeschnittenen Herrschaft in Russland zu halten. Weil dieser Krieg so schlecht für ihn läuft, kämpft er in der Ukraine eben auch um seine Macht zu Hause.

Durch Prigoschins Tod ist es für Putin aber nicht unbedingt einfacher geworden. Die Wagner-Söldner haben Vergeltung angekündigt und das rechte Spektrum im Land reagiert zunehmend zornig. Woraus könnte nun für Putin die größte Gefahr erwachsen?

 Er muss zunehmend Kritik von jenen fürchten, die von seinem System profitieren und um ihre Pfründe und Interessen fürchten, von unzufriedenen Militärs und rechten Nationalisten, auf Sicht aber auch den Unmut einer Bevölkerung, deren Zustimmung er nicht beliebig erkaufen kann.

"Putin geht es darum, andere zu unterjochen"

Wir hören viel über die Umstände, unter denen die Ukraine eines Tages zu einem Friedensschluss mit Russland bereit sein könnte. Doch wann ist aus Ihrer Sicht dieser Punkt für die russische Regierung erreicht?

Frieden ist für Wladimir Putin überhaupt kein Ziel an sich. Darin täuschen sich manche bei uns. Ihm geht es darum, andere zu unterjochen, um Macht und Größe, Stärke und Respekt. Zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen wird er bereit sein, wenn er einerseits den Krieg nicht erfolgreich fortsetzen kann und andererseits um seine Macht zu Hause fürchten muss.

Wenn dieser Frieden eines Tages kommt, mit was für einem Russland werden wir es dann zu tun haben?

Allein schon die Stabilität des Landes hängt davon ab, wie der Krieg ausgeht. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Unruhen kommt oder, wie beim Zerfall der Sowjetunion, erneut zu separatistischen Bestrebungen. Es ist nicht auszuschließen, dass wir es auch künftig mit einem autoritären, konfrontativ ausgerichteten Russland zu tun haben werden. Deswegen sind wir gut beraten, für unsere eigene Sicherheit und die unserer Verbündeten zu sorgen. Doch es gilt auch ein Satz, den Michail Gorbatschow mir einmal gesagt hat: „Nur der Westen glaubt, Russland sei unfähig zur Demokratie.“

Russland ist "un-investierbar" geworden

Viele Unternehmen haben sich aus Protest gegen den Krieg aus Russland zurückgezogen. Andere sind geblieben. Häufig, um eine Enteignung zu verhindern, weil ein Rückzug sehr teuer ist oder weil sie schlicht auf den Standort Russland angewiesen sind. Was ist aus ihrer Sicht die nachhaltigere Strategie, sowohl ökonomisch als auch moralisch?

Moralisch ist die Antwort ganz klar, wenn wir uns den Werten unserer freiheitlichen Ordnung und der Sicherheit unserer Länder verpflichtet sehen. Angesichts der schwierigen Interessenlage mancher Unternehmen ist es zugleich nicht einfach, auf diese Frage eine schwarz-weiße Antwort zu geben. Sich ganz oder überwiegend auf den russischen Markt auszurichten, war allerdings spätestens 2014 schon keine gute Option mehr. Nun hat Wladimir Putin auch den letzten Rest des wichtigsten Kapitals verspielt, das Grundlage jeder Wirtschaftsbeziehung ist: Vertrauen. Russland, das auch bislang schon kein Rechtsstaat war, ist 'un-investierbar' geworden. Das sollte künftige Überlegungen leiten.

Elf Sanktionspakete hat die EU mittlerweile geschnürt, um Russland ökonomisch und fiskalisch zu isolieren. Haben Sie den Eindruck, dass die Sanktionen die gewünschte Wirkung entfalten, sollte die EU noch restriktiver vorgehen oder sind Sie der Auffassung, dass die Sanktionen in erster Linie dem Westen schaden und nicht Russland?

Die erste Frage lautet: Was wäre die Alternative? Selbst militärisch zu reagieren? Nein. Wegzuschauen, Wladimir Putin die Ukraine zu lassen und ihn zu ermutigen, dass sein zerstörerischer Weg internationaler Politik, der Gewalt und der Disruption, funktioniert? Nein. Die Sanktionen zielen auf den richtigen Punkt: Auf die Einnahmen, die die Machthaber brauchen, ihren Krieg zu finanzieren und sich ständig die Zustimmung der Menschen zu kaufen, deren übergroße Mehrheit  sich ja eigentlich wie wir den Frieden wünscht und das Regime nicht unterstützt, sondern der es angesichts der allgegenwärtigen Repression allein an der Bereitschaft zum Widerspruch fehlt. Dass die Sanktionen erhebliche Wirkung entfalten, hat Wladimir Putin selbst eingeräumt. Nur eine Zahl: 2023 waren die Staatsschulden zur Jahresmitte bereits wesentlich höher als für das ganze Jahr veranschlagt.

Wir bedanken uns für dieses Gespräch, Herr von Fritsch!

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