Niedersachsens Industriearbeitgeber fordern eine von Fakten bestimmte Debatte rund um den Verbrennungsmotor
Seit „Dieselgate“ tobt in Deutschland eine Debatte um die Zukunft des Verbrennungsmotors, insbesondere des Diesels.
Spätestens mit den Vorwürfen des Spiegels über ein angebliches Kartell der Autobauer hat die Diskussion noch einmal neue Fahrt aufgenommen. Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall, des Verbandes der Deutschen Kautschukindustrie ADK sowie zehn weiterer Arbeitgeberverbände, fordert im Interview eine sachlichere Debatte statt der derzeit stattfindenden Hetzjagd auf das Auto.
Herr Dr. Schmidt, das Image des Diesels hat in den vergangenen Monaten enorm gelitten, was sich ganz konkret in den Zulassungszahlen niederschlägt. Dazu kommt die sehr grundsätzliche Kritik an der Linie der deutschen Autohersteller im Umgang mit den Dieselskandalen. Kommt diese zu Recht?
Volker Schmidt: Zunächst einmal stellen wir fest, dass seit der Bundestagswahl ein wenig Druck aus der politischen Diskussion entwichen ist. Das ist gut so und führt uns hoffentlich wieder zu einer Debatte, die auf Fakten und nicht auf Hysterie beruht. Hier hatte übrigens der erste Berliner Dieselgipfel bereits gute, weil tatsächlich auch realistisch erfüllbare Ergebnisse. Die Kombination aus Optimierung der Dieselfahrzeuge im Bestand und einem Anreizsystem über Prämien für einen Umstieg auf neuere Modelle ist der richtige Weg.
Die Fahrverbote scheinen aber noch immer nicht vom Tisch …
Volker Schmidt: Die Diskussion um Fahrverbote in ihrer aktuellen Form ist unsäglich. Nicht nur der Umstand, dass die deutschen Hersteller in unterschiedlicher Weise das Thema Schadstoffreduktion seit Jahren energisch angegangen sind und mit einem Riesenaufwand weiter angehen – es sind von Motorgeneration zu Motorgeneration immense Fortschritte erzielt worden. Es ist auch und vor allem eine politische Debatte, weil von der Politik immer ambitioniertere Grenzwerte gesetzt werden. Etwa Stickoxide für Dieselfahrzeuge von 500 Mikrogramm noch 2004 auf 80 Mikrogramm runter in 2014 – eine Reduzierung um 84 Prozent in 10 Jahren – oder Feinstaub von 140 Mikrogramm noch 1995 auf 4,5 Mikrogramm seit 2011, eine Reduzierung des Grenzwertes um sogar 97 Prozent binnen 16 Jahren. Das sind politisch gesetzte Werte, die von den Automobilherstellern einzuhalten sind und – ich betone – auch weit überwiegend eingehalten werden. Welche exorbitanten Entwicklungsanstrengungen von der Autoindustrie hier abgefordert werden und auch umgesetzt wurden, findet in der veröffentlichten Meinung kaum Erwähnung.
Der Deutschen Umwelthilfe ist das nicht genug …
Volker Schmidt: Es mutet schon seltsam an, dass ein Verein wie diese sogenannte Deutsche Umwelthilfe mit ein paar hundert Mitgliedern die öffentliche Meinung in unserem Land derart bestimmt und die Politik vor sich hertreibt. Und den Eindruck zu erwecken versucht, es würden von deutschen Herstellern nur noch Dreckschleudern produziert. Das ist unverantwortlich, auch weil man doch bedenken muss, dass bei vielen Menschen das Auto eine der größten Anschaffungen im Leben ist. Diese Fahrzeuge kann man nicht per Federstrich quasi über Nacht komplett entwerten. Gestern noch klimafreundliche Alternative wird der Diesel heute zur ‚Umweltbedrohung Nr. 1‘ degradiert – das ist absurd.
Aber wenn die Grenzwerte nicht eingehalten werden? Das ist doch Gesundheitsgefährdung.
Volker Schmidt: Derzeit geht es wieder einmal viel zu sehr um gefühlte Wahrheiten. Hier wäre eine Debatte wünschenswert, der wissenschaftliche Fakten zu Grunde liegen. Tatsache ist: Der auf den Verkehr entfallende Stickoxidausstoß ist seit 1990 von 1,5 Mio. Tonnen auf unter 0,5 Mio. Tonnen zurückgegangen – und das trotz Verdoppelung des Verkehrsaufkommens im selben Zeitraum. Diese Zahlen stammen übrigens vom Umweltbundesamt und diese Einrichtung steht nicht gerade im Verdacht, ein Erfüllungsgehilfe der deutschen Autoindustrie zu sein. Es muss auch um die Frage gehen, welchen Beitrag der Straßenverkehr überhaupt zur Reduzierung von Feinstaub und Stickoxiden in der Luft leisten kann. Und ob hier Maßnahmen und mögliche Wirkungen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Ich behaupte: Nein! Gerade auch mit Blick auf Handwerk und Mittelstand, aber auch auf all diejenigen, die sich privat einen Diesel angeschafft haben, wäre es geradezu verantwortungslos, jetzt einen Großteil des Wertes des Fahrzeugbestands durch mögliche Fahrverbote oder überzogene Maßnahmen zu vernichten.
Ebenfalls in die Kritik geraten ist die als zu eng empfundene Verbindung von Autoindustrie und Politik. angefangen bei Verkehrsminister Dobrindt bis hin zur Beteiligung des Landes Niedersachsen an Volkswagen. Ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt die Anteile loszuschlagen?
Volker Schmidt: Keine ernstzunehmende politische Kraft in Niedersachsen stellt die VW-Beteiligung des Landes in Frage. Es spricht aber wohl einiges dafür, dass man sich in der Politik intensiv Gedanken über die Ausgestaltung der Wahrnehmung der Aufsichtsratsmandate des Landes bei VW macht.
Sie sprechen über Vertrauen der Kunden in das Produkt 'Auto'. Jetzt stehen die vom Spiegel erhobenen Kartellvorwürfe im Raum. Haben nicht die großen Hersteller alles dafür getan, ebendieses Vertrauen zu verspielen?
Volker Schmidt: Ja, es gab Absprachen zwischen den Automobilherstellern, aber worum ging es denn da? Es ging etwa um Fragen wie der, bei bis zu welcher Geschwindigkeit man ein Verdeck öffnen kann – also um sicherheitsrelevante Themen. Mir ist ganz wohl bei dem Gedanken, dass auf der Autobahn vor mir niemand bei Tempo 120 mit seinem elektrischen Cabriodach spielen kann. Der zweite Vorwurf, es hätte verbindliche Absprachen über die Größe des Harnstoffkanisters gegeben, ist nachweislich falsch und zwischenzeitlich eindeutig widerlegt. Es ist einfach nicht mehr nachvollziehbar, wie in Deutschland eine ganze Industrie stigmatisiert wird und deren Kunden verunsichert werden. Allein in Niedersachsen leben über eine halbe Millionen Mitarbeiter und ihre Familien direkt von der Autoindustrie. Das sind gute Arbeitsplätze. Die in den letzten Monaten mit Verdächtigungen, Unterstellungen und Faktenlosigkeit geradezu hysterisch geführte Debatte bedroht die Arbeitsplätze in der Schlüsselbranche der deutschen Industrie. Das schadet am Ende dem gesamten Land – und unsere ausländischen Konkurrenten reiben sich die Hände.